Bereits im Jahr 1834 gründete sich in Aachen der erste deutsche Brieftaubenverein namens „La Colombe“.
Die französische Namensgebung deutet auf den Einfluss belgischer Brieftaubenzüchter in diesem Prozess hin. Aachen liegt im Grenzbereich zu Holland und Belgien und so kann man davon ausgehen, dass aufgrund der räumlichen Nähe zu Verbindungen zwischen Brieftaubenzüchtern gekommen ist und ein reger Austausch erfolgte.
Mit den erfolgreichen Brieftaubenzüchtern aus dem Raum Lüttich und Verviers hatten die Aachener bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts Kontakt aufgenommen, teilweise bestanden auch familiäre Verbindungen und so wurden Brieftauben aus Belgien nach Deutschland eingeführt.
Belgien ist das Mutterland des Brieftaubensports, wo bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Wettflüge mit Brieftauben ausgerichtet wurden. 1818 wurde im Lütticher Vorort Amecour die erste Brieftaubenvereinigung „L`Hirondelle“ gegründet.
Um 1840 gründete sich die Brieftaubenvereinigung „Askalon“. Im Jahr 1847 wurde dann der noch heute aktive Verein "L`Union" in Aachen gegründet.
Das Protokollbuch dieses Vereins belegt die damalige Gründung.
Im Jahr 1851 fusionierten „Askalon“ und der Verein „Concours“ mit der damals 4 Jahre alten "L` Union" und führten fortan den Namen „L`Union“. Genau genommen gingen die beiden erstgenannten Vereine in der "L´ Union" auf. Vorsitzender von "L´ Union" war Adolf Zurhelle aus Aachen-Laurensberg, einer der erfolgreichsten Aachener Brieftaubenzüchter der damaligen Zeit.
In den Anfangsjahren des Brieftaubensports hatten die Aachener Brieftaubenzüchtervereine noch keine Verbandsnummer. Diese wurden naturgemäß erst nach Gründung des deutschen Verbandes 1884 vergeben.
Die Vergabe der Verbandsnummern erfolgte nicht nach dem Alter der Vereine, sondern in alphabetischer Reihenfolge der Heimatstädte. Hier lag zwangsläufig Aachen ganz am Anfang. Der Vereinsname war dann in zweiter Linie maßgebend für die Nummerierung.
Die Aachener Vereine “Askalon“ (früher "Asculum") und „Aachener Gesellschaft Wildbach“ führen noch heute mit den Verbandsnummer 0001 und 0002 das Verzeichnis der Vereine des Verbandes Deutscher Brieftaubenzüchter e.V. an. "L´Union" wird auch heute noch mit der Verbandsnummer 0006 geführt.
Nach 1850 gründete sich im Aachener Raum Verein um Verein. Über diese turbulente Zeit sind bis heute die Aufzeichnungen im Protokollbuch des Vereins "L´ Union" erhalten geblieben.
Die Tauben wurden auf der Süd-West-Richtung gespielt und hatten Flüge ab Perpignan (Frankreich/ 930 km) oder St. Jean de Lux (Spanien/ 900 km) zu absolvieren. In den Folgejahren wurde die Distanz auf bis zu 1.100 km ab Santander (Spanien) erweitert.
Die Tauben der Aachener Züchter konnten sich in den internationalen Wettbewerben sehr gut platzieren, wobei vor allem Adolf Zurhelle bedeutende internationale Flüge gewinnen konnte.
Vermutlich das älteste Tauben-Diplom überhaupt: Ölgemälde "Concours in Aachen 1852", die Taube erreicht den 5. Preis von Angouleme und 3. Preis von Bordeaux. Eigentümer der Taube ist Max Hubert Kautz.
Ölgemälde einer sehr erfolgreichen Taube des Jahrgangs 1874 von Adolf Zurhelle mit Preisauflistung bis in das Jahr 1880
Hierzu bedurfte es der Fertigstellung des flächendeckenden Eisenbahnnetzes im deutschen Reich in den Jahren 1860 bis 1870.
Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges im Jahr 1871 waren alle wichtigen Gebiete über das Schienennetz zu erreichen. Damit erhielt ein größerer Personenkreis Zugriff auf Tauben oder auch die entsprechenden Fachbücher zum Beispiel aus dem Aachener Raum oder Belgien.
Die Entwicklung des Brieftaubensports in Deutschland verlief langsam.
Dies vermutlich auch vor dem Hintergrund, dass in den preußischen Provinzen die Haltung von Tauben per Gesetz an den Besitz von Ackerland geknüpft war.
Die Ausbreitung lässt sich von Aachen aus erst in der näheren Umgebung in den Städten Kohlscheid, Stolberg, Würselen, Eschweiler und Düren belegen, bevor in den 1860er Jahren auch im Rheinland, im Ruhrgebiet, im bergischen Land, in Hamburg oder auch schon in Thüringen (Pößneck) nachweislich Brieftaubenvereine gegründet wurden.
Ein geordnetes Reisen mit Brieftauben gab es in den 1860er Jahren noch nicht.
Jeder Verein spielte seine eigene Richtung. Dies führte zu hohen Transportkosten und so versuchte man Transportgemeinschaften zu organisieren. Dies um die finanziellen Belastungen zu senken und durch einen größeren Teilnehmerkreis auch den sportlichen Stellenwert der Flüge zu verbessern.
Zu der Flügelnummer jeder Taube wurde eine geheime Markierung in den Flügel gestempelt. Nach dem Eintreffen der Taube bei ihrem Züchter brachte ein Laufbursch sie in einem sog. Laufsäckchen zum Vereinsheim.
Dort notierte man die Ankunftszeit an ihrem Heimatschlag und gab diese in eine versiegelte Uhr ein. Die Taube wurde dann in einem Käfig im Vereinsheim ausgestellt.
Die Reihenfolge der eingetroffenen Tauben wurde anhand der Ankunftszeit unter Berücksichtigung der Entfernung des Schlages zum Vereinsheim errechnet. Dazu schritt eine sog. Abschreitekommission diese Strecke ab und ermittelte diese Entfernung. Es wurden dann 200 m mit einer Minute Zeitgutschrift verrechnet.
Der Transport der Tauben zum Auflassort war vermehrt von den Porteurs (Gepäck-Träger) auf die Eisenbahn übergegangen. Am Ankunftsort kümmerte sich eine Vertrauensperson um die Versorgung und den Auflass. Teilweise begleitete jemand die Tauben, was jedoch enorme Kosten mit sich brachte für Lohn, Aufwandsentschädigung und Fahrkarten des Begleiters.
Diese hohen finanziellen Belastungen und die Orientierung am System der Belgier mit großen Gemeinschaften und geteilten Kosten führten zu Bestrebungen einen nationalen Dachverband zu gründen.
Eine entsprechende Initiative fiel zeitlich mit der Proklamation des deutschen Kaisers im Januar 1871 zusammen, so dass die Initiatoren ihr Vorhaben noch eine Weile zurück stellten. Der Brieftaubensport war zwischenzeitlich überall im Land verbreitet.
Der erfolgreiche Einsatz von Brieftauben im Deutsch-Französischen Krieg 1870/ 1871 beschleunigte die Entwicklung im Brieftaubenwesen in Deutschland dann endgültig.
Die von Reichskanzler Bismarck 1870 in Richtung Paris entsendeten Truppen zogen schnell einen engen Gürtel um die französische Hauptstadt.
Der belgische Brieftaubenzüchter Pierre de Roo plante Brieftauben außerhalb von Paris zu stationieren, um mit diesen Nachrichten hinter die Frontlinie, also in die Hauptstadt, senden zu können. Da es kein Durchkommen mehr nach Paris gab, lehnte die französische Militärverwaltung de Roos Vorschlag ab. In Paris spitze sich unterdessen die Lage zu: die Stadt war seit 3 Wochen isoliert und die Vorräte neigten sich dem Ende entgegen.
Der Oberpostmeister von Paris entwickelte die Idee, die Frontlinie der Deutschen mittels Ballon zu überwinden. Der erste Versuch war erfolglos, aber am 29.09.1870 glückte ein zweiter Versuch und sowohl schriftliche Mitteilungen als auch 3 Brieftauben konnten aus Paris ausgeflogen werden. Bereits wenige Stunden später traf eine der Tauben wieder in ihrem Heimatschlag in Paris ein und überbrachte eine Botschaft - der Plan war aufgegangen.
Von da an wurden während der Belagerung von Paris mit allen Ballons auch Brieftauben ausgeflogen.
Die erfolgreiche Nachrichtenübermittlung mittels Brieftauben erregte bei den Machthabern in aller Welt Aufsehen.
Die Taube war in der damaligen Zeit im Belagerungsfall allen anderen Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung überlegen.
Auch das Preußische Kriegsministerium erkannte die Vorteile eines Einsatzes von Brieftauben für militärische Zwecke und beauftragte 1872 den Kölner Brieftaubenzüchter Josef Lenzen mit der Vorbereitung des Einsatzes von Brieftauben bei der Preußischen Armee zu beginnen.
Daraufhin wurden ab 1874 verschiedene Brieftaubenstationen eingerichtet, die mit speziell für diesen Einsatz gezüchteten Brieftauben bestückt wurden. Josef Lenzen wurde zum Direktor für das preußische Militärbrieftaubenwesen ernannt und verfasste in der Folge mit „Die Brieftaube“ eines der ersten Fachbücher für und über den Brieftaubensport.
Auch für die Zucht und Haltung von Brieftauben durch Privatleute wurden Regelungen erlassen: den Flugveranstaltern wurden durch den Staat Urkunden und Medaillen zur Verfügung gestellt. Unter den Auszeichnungen war auch die begehrte Kaisermedaille von Wilhelm I. bzw. später von Wilhelm II., welcher im Jahr 1888 dann auch das Protektorat über den neu gegründeten Brieftaubenverband übernahm.
Dies unterstrich die Bedeutung des Brieftaubenwesens für den Staat und das Militär.
Nach 1870 hatte das Brieftaubenwesen in Deutschland einen festen Platz in der Gesellschaft eingenommen.
Dies auch aufgrund der heldenhaften Leistungen der Brieftauben während der Belagerung von Paris und der Förderung durch das preußische Kriegsministerium.
So kam es dazu, dass Verleger die ersten Fachmagazine auflegten. Die Zeitschrift „Columbia“ war die erste deutschsprachige Brieftaubenzeitung. Sie wurde allerdings nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Als Nachfolgerin ging die „Brieftaube“ des Herrn Dr. Karl Russ in den Druck, allerdings auch nur von kurzer Dauer.
Zwischenzeitlich waren viele Brieftaubenvereine gegründet worden, so dass Ende 1883 in Deutschland 78 Brieftaubenvereine und 2 Reisevereinigungen registriert waren.
Die Probleme im Zusammenhang mit hohen Transportkosten und dem Abschuss von Brieftauben durch Wilderer bzw. hohe Verluste durch Greifvögel waren weiterhin nicht geklärt und die Züchter forderten einen nationalen Verband, um ihre Interessen besser durchsetzen zu können.
Fortsetzung: Verbandsgründung